Julika Prantner-Weber und Pauline Seu? haben es mit dem BiV ¨C Bildungsinstitut f¨¹r inklusive Vielfalt geschafft das erste EXIST Gr¨¹ndungsstipendiuman die mgÀÏ»¢»úÓÎÏ·_Ë®¹ûÀÏ»¢»úÓÎÏ·ÏÂÔØ zu holen. Das EXIST Gr¨¹ndungsstipendium w¨¹rdigt herausragende gr¨¹ndungsinteressierte Student*innen, Absolvent*innen und Wissenschaftler*innen, die innovative wissensbasierte Dienstleistungen oder Produkte entwickeln und diese zur Marktreife bringen wollen. Wie es zu der Idee kam, wie sie als Team zusammengefunden haben und welchen Herausforderungen sie sich jetzt stellen, haben sie uns in einem Interview erz?hlt.
1. Erz?hlt doch mal: Wer seid Ihr und was macht Ihr?
Julika Prantner-Weber: Ich bin Julika Prantner-Weber, benutze die Pronomen Sie/Ihr und bin 32 Jahre alt. Ich wohne jetzt schon seit guten 11 Jahren in Leipzig und habe in den letzten Jahren eine lange Kette verschiedener Ausbildungen beziehungsweise Studieng?ngen gekn¨¹pft. Das startete mit Ergotherapie, dann dem Bachelor Soziale Arbeit in Merseburg. Nach einem Jahr Pause im studentischen Bereich, habe ich dann an der mgÀÏ»¢»úÓÎÏ·_Ë®¹ûÀÏ»¢»úÓÎÏ·ÏÂÔØ den Master Angewandte Sexualwissenschaft angekn¨¹pft. Mit jedem n?chsten Ausbildungsschritt haben sich meine Begeisterung und auch mein Wissen immer mehr kanalisiert, hin zu den Bereichen P?dagogik, Sexualwissenschaft und insbesondere queeren Themen. Im September 2022 habe ich dann meinen Master abgeschlossen. Das war f¨¹r mich gleichzeitig auch ein neuer Startpunkt. Ich habe meine Masterarbeit abgegeben und verteidigt, die den wissenschaftlichen Grundstein f¨¹r unser jetziges Projekt gelegt hat.
Pauline Seu?: Ich bin Pauline Seu?, meine Pronomen sind auch Sie/Ihr und ich bin 31 Jahre alt. Ich lebe seit ca. 6 Jahren in Leipzig und habe in Wien Kultur- und Sozialanthropologie studiert. Anschlie?end bin ich f¨¹r ein Erasmus Praktikum nach Deutschland zur¨¹ckgekommen. Hier war ich dann in einem Frauenhaus f¨¹r jesidische Frauen aus dem Nordirak t?tig. Nach dem Bachelor lag mein Fokus auf Migrations-, Integrations- und Asylthemen. Dabei interessierte mich vorrangig der Umgang mit Diversit?t von Kulturen im eigenen Land, w?hrend die Anthropologie ja klassischerweise fremde Kulturen von au?en betrachtet und erforscht. In diesem Kontext habe ich dann noch mit unbegleiteten, minderj?hrigen Gefl¨¹chteten in einer Wohngruppe gearbeitet. Im Anschluss habe ich noch ein Masterstudium der Kulturwissenschaften absolviert, mit dem Schwerpunkt Gender- und Queerstudies. Schon w?hrend des Masters war ich in politische Bildungsarbeit rund um diskriminierungssensible, gendersensible und feministische Themen involviert.
2. Wie habt Ihr Euch kennen gelernt und wie hat Eure professionelle Zusammenarbeit begonnen?
Julika Prantner-Weber: Pauline hat mich von ca. 1,5 Jahren angefragt an einer Folge des Podcasts ¡°VomensBar digitale¡± teilzunehmen. In der Folge ging es jedoch um ein anderes Thema: Fettfeindlichkeit und Fat activism. Dar¨¹ber habe ich sie als politisch, feministische Aktivistin und als Person kennengelernt, die Erfahrung im Bereich Erwachsenenbildung hat. Au?erdem haben wir festgestellt, dass wir beide einen Bezug zur mgÀÏ»¢»úÓÎÏ·_Ë®¹ûÀÏ»¢»úÓÎÏ·ÏÂÔØ haben. Ich im Rahmen meines mgÀÏ»¢»úÓÎÏ·_Ë®¹ûÀÏ»¢»úÓÎÏ·ÏÂÔØs, Pauline in einer Projektt?tigkeit. Sie war die erste Person, an die ich gedacht habe, als es darum ging mein Vorhaben umzusetzen.
Pauline Seu?: Ich hatte in der Zeit verschiedene Lehrauftr?ge an der mgÀÏ»¢»úÓÎÏ·_Ë®¹ûÀÏ»¢»úÓÎÏ·ÏÂÔØ zu genderpolitischen und diversit?tssensiblen Themen. Au?erdem war ich im Projekt FEM POWER t?tig. Julikas Idee hat bei mir gleich Interesse geweckt und einen Nerv getroffen. Ich hatte zuvor vermehrt politische Bildungsarbeit an Schulen durchgef¨¹hrt und habe in diesem Kontext gro?en Bedarf an speziell entwickelten Bildungsangeboten durch gut ausgebildete Fachpersonen wahrgenommen. Ehrenamtsarbeit und soziales Engagement sto?en hier an ihre Grenzen, vor allem unter dem gegenw?rtigen Rechtsruck.
3. Wie ist Euer aktuelles Vorhaben entstanden?
Julika Prantner-Weber: Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich wissenschaftlich, p?dagogisch Materialien hergeleitet, die sexuelle, romantische und geschlechtliche Bildung abbilden. Diese fu?en auf einem breiten Theoriebett und werden gleichzeitig mit Inklusionsinstrumenten auf ihre Funktionalit?t und inklusive Anwendbarkeit gepr¨¹ft. Queere Bildung ist mein Herzensthema, in dem ich unter Einbezug von Haupt- und Nebent?tigkeiten seit rund 7 Jahren t?tig bin. Hier bin ich immer wieder auf gro?e Bedarfe gesto?en. Mir ist aufgefallen, dass bestehende Angebote und Materialien nicht inklusiv f¨¹r Alle arbeiten und teilweise zu hochschwellig sind. Das hat mich p?dagogisch immer wieder herausgefordert, sodass es mein Ziel geworden ist, mich diesem Thema in meiner Masterarbeit breit gef?chert anzun?hern und selbst Materialien zu entwickeln. Nach erfolgreicher Verteidigung habe ich mich auf Hinweis von Prof. Dr. Heinz-J¨¹rgen Vo?, Professor f¨¹r Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung an der mgÀÏ»¢»úÓÎÏ·_Ë®¹ûÀÏ»¢»úÓÎÏ·ÏÂÔØ, an den Gr¨¹nderservice der Hochschule gewendet. Hier hat man mich mit meiner Idee sehr herzlich willkommen gehei?en und mich darin best?rkt meine Idee gr??er zu denken und weiterzuentwickeln. Also wir haben uns entschlossen, mein Vorhaben beim EXIST Gr¨¹ndungstipendium zu platzieren. Im Juni 2023 habe ich den Antrag eingereicht, es gab noch eine Korrektur- und Sch?rfungsphase und im Herbst die finale Zusage f¨¹r das Stipendium.
4. K?nnt Ihr Eure Idee einmal genau schildern?
Pauline Seu?: Unser Vorhaben st¨¹tzt sich insgesamt auf drei S?ulen. Wir haben und wollen Bildungsmaterial rund um geschlechtliche, romantische und sexuelle Vielfalt entwickeln, dass differenzierbar und damit inklusiv anwendbar ist. Das Material wird im schulischen Unterricht f¨¹r Kinder und Jugendliche anwendbar sein. Die direkte Zielgruppe sind dabei Lehrer*innen sowie Personen, die in lehrender Position f¨¹r Projekte, Stiftungen und andere Organisationen t?tig sind. Die Begleitschulung gilt der nachhaltigen und sensiblen Anwendung des Materials. Dar¨¹ber hinaus bieten wir Coachings und Fachschulungen an, die diskriminierungssensibel und sexualp?dagogisch fundiert Vielfalt thematisieren.
Julika Prantner-Weber: Zuletzt wollen wir auch Beratungen dazu anbieten, wie Bildungsinhalte durch Illustration und Darstellung zug?nglicher gemacht werden k?nnen. Vor allem Barrierereflektion und barrierearmes Design stehen hier im Fokus. Wir arbeiten mit einem weiten Inklusionsverst?ndnis. Dieser schlie?t nicht nur Menschen mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen oder Beeintr?chtigungen ein. Ein weites Inklusionsverst?ndnis betrachtet alle Gruppen von Lernenden in einem heterogenen Verst?ndnis. Dabei geht der Trend weg von der Selektion und hin zu einem Bildungssystem und Methoden, die darauf ausgelegt sind, alle anzusprechen.
5. Wie seid Ihr auf den Namen BiV ¨C Bildungsinstitut f¨¹r inklusive Vielfalt gekommen?
Julika Prantner-Weber: Uns war im Bereich der Materialien und auch der zugeh?rigen Schulung der wissenschaftliche Anspruch dahinter sehr wichtig. Daher haben wir den Titel des Bildungsinstituts gew?hlt. Wir definieren uns einerseits sehr ¨¹ber die wissenschaftliche Aktualit?t, andererseits aber auch ¨¹ber die Praxisn?he und die Anwendungspr¨¹fung unserer Materialien. Auf dieser Basis fusioniert unser Inklusionsanspruch mit dem Thema Vielfalt.
6. Wie geht es jetzt f¨¹r Euch weiter?
Pauline Seu?: Ein ganz gro?er Schatz dieses Gr¨¹ndungsjahres ist die Sammlung von Feedback und Erfahrung mit unseren Materialien und der Bildungsarbeit. Wir werten die Feedbackschleifen aus, arbeiten mit Coach*innen, wie der Politologin Katharina Debus zusammen und k?nnen die Anwendbarkeit in verschiedenen Szenarien und Kontexten erproben. Am 21.03.2024 sind wir au?erdem bei einer Fachtagung vertreten. Die Konferenz ¡°Kinder- und Jugendhilfe und Schulen verqueeren¡± Selbstbestimmung f?rdern - Queerfeindlichkeit begegnen findet an der mgÀÏ»¢»úÓÎÏ·_Ë®¹ûÀÏ»¢»úÓÎÏ·ÏÂÔØ statt. Wir arbeiten unter Hochtouren an unserem Onlineauftritt, also unserer Website und unseren Social Media Accounts und machen uns dar¨¹ber Gedanken, wie wir wen ansprechen und unsere Zielgruppen erreichen. Auch im Bereich Marketing soll sich einiges tun.
Julika Prantner-Weber: Das Stipendiumsjahr gibt uns neben Sachmitteln und finanzieller Absicherung auch sehr viel Vertrauen in uns selbst und in unser Produkt. Au?erdem haben wir die M?glichkeit in alle Bereiche reinzuschnuppern und Fehler zu machen. Dass einem nicht jeder risikoreiche Schritt zum Verh?ngnis werden kann, ist sehr viel wert. Daf¨¹r sind wir dankbar und freuen uns ¨¹ber die Fr¨¹chte, die wir nach dem langen Antragsprozess jetzt ernten k?nnen.
7. Welche Herausforderungen seht Ihr aktuell?
Pauline Seu?: Spannend ist auf jeden Fall die Entwicklung unserer eigenen Organisation und Unternehmensstruktur. Bei so einem Stipendium startet man nicht einfach wie in einem Job, bei dem feste Strukturen und Prozesse bereits vorhanden sind. Da wird man eingearbeitet und f¨¹llt eine Position, die gerade leer geworden ist. Wir haben noch keine festen Pl?tze, Positionen, Strukturen oder Rollen und d¨¹rfen alles selbst entwickeln, w?hrend wir schon produktiv arbeiten. Wir m¨¹ssen quasi unseren Platz am Tisch noch finden, w?hrend wir schon essen. Es ist aber auch sehr befreiend, selbst zu entscheiden und zu entwickeln, wie wir miteinander arbeiten wollen.
Julika Prantner-Weber: Genau das wollen wir zu unserem Vorteil nutzen. Wir genie?en den Entscheidungsfreiraum und schaffen unsere eigenen Regeln.
Pauline Seu?: Wir profitieren aber auch sehr von den schon bestehenden Strukturen, auf die wir zur¨¹ckgreifen k?nnen, wie die mgÀÏ»¢»úÓÎÏ·_Ë®¹ûÀÏ»¢»úÓÎÏ·ÏÂÔØe zu Coach*innen, Teambuilding und Beratung. Wir k?nnen uns jederzeit Hilfe holen und haben Ansprechpartner*innen in verschiedenen Bereichen.
8. Welche Ziele verfolgt Ihr?
Julika Prantner-Weber: Ich habe eine ganz gro?e Vision, auch wenn ich nicht glaube, dass wir in einem Jahr schon da sein k?nnen. Ich m?chte gerne einen Ort schaffen, der einen hohen Anspruch an Vielfaltsbildung mitbringt und so vielen Personen wie m?glich zug?nglich ist. Wir wollen ein gro?es Netzwerk aufbauen, unsere Leute, die absurd gute Bildungsarbeit machen, genauso bezahlen und dazu beitragen Deutschland langfristig queerfreundlicher zu machen. Ich m?chte nach diesem Jahr zur¨¹ckblicken und sagen k?nnen, dass wir dieses Jahr bestm?glich genutzt haben.
Pauline Seu?: Ein langfristiges Ziel ist es nat¨¹rlich ein gut laufendes und finanziell sicheres Institut aufzubauen. Das gibt nicht nur uns Sicherheit, sondern auch unseren Kund*innen und schafft Unabh?ngigkeit von F?rderungen und politischem Wohlwollen. Wir wollen unsere Bildungsangebote langfristig verf¨¹gbar machen. Es sollte nicht idealistisch sein, Menschen f¨¹r Bildungsarbeit gut zu bezahlen, denn wir wissen beide aus eigener Erfahrung, was es f¨¹r ein Knochenjob ist, diese Arbeit zu leisten. Es ist pure Performance zu einem Thema, dass uns beide pers?nlich sehr mitnimmt und Betroffene noch mehr mitnimmt, wenn die stattfinden kann.
Julika Prantner-Weber: Langfristig wollen wir auch unabh?ngig von aktuellen Parteisituationen sein. Gleichzeitig gehen wir aber auch ein gro?es Risiko ein: Denn wenn sich der Markt und politische Situationen anders entwickeln sollten und sich das in Schulen und Bildungseinrichtungen spiegelt, nimmt das auch Einfluss auf unsere potenziellen Kund*innen.
9. Was k?nnt Ihr anderen Personen raten, die sich auf den Weg machen und ihre Ideen umsetzen wollen?
Pauline Seu?: Uns ist vor allem aufgefallen, dass wir uns erst im Rahmen des Stipendiums getraut haben gro? zu denken. Da wir keinen BWL-Background haben, haben wir uns zu Beginn kaum Gedanken zur gesch?ftlichen Strategie und Wachstum gemacht. Unser Fokus lag eher auf der konkreten Bildungsarbeit. Klar kann man immer scheitern und auch das ist etwas, woran wir denken m¨¹ssen. Wir haben zum Gl¨¹ck keine gro?e Fallh?he. Aber man darf sich auch trauen an das Gegenteil des Scheiterns zu denken.
Julika Prantner-Weber: Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass besonders weiblich sozialisierte Personen sich mit ihren Vorhaben weniger trauen gro? zu denken. Uns wird h?ufig gesagt ¡°sei zur¨¹ckhaltend¡±, ¡°sei nicht prahlerisch¡±, ¡°platzier dich (erstmal) nicht zu gro?¡±. Ist man mit diesem Leitbild aufgewachsen, kann es vorkommen, dass es einem v?llig normal vorkommt, nur im kleinen Rahmen zu denken. Es kann sehr empowernd sein, aus diesem Rahmen herauszutreten und das Feld nicht denen zu ¨¹berlassen, das unternehmerische Handeln in die Wiege gelegt wurde.
Pauline: Habt Vertrauen in eure Idee!
Mehr zum Vorhaben von Julika Prantner-Weber und Pauline Seu? finden Sie unter www.bildungsinstitut-inklusive-vielfalt.de oder auf Instagram unter @BiV_inklusive_Vielfalt.
Wir w¨¹nschen dem Gr¨¹ndungsteam einen erfolgreichen Start!